Algerien
2000: Schnitzeljagd im Oriental, Issaoune & Badewanne
Auf den Spuren der NeuzeitNachdem wir im Sommer auf allen möglichen Afrikafahrertreffen unseren neuen
"Comfortausbau" vorgeführt haben, hielten wir einen kurzen Ausflug in den
Oriental für angemessen, um Bernds tolle Konstruktion auf seine Funktionsfähigkeit
zu testen. Diesmal hatten wir uns gedacht, dass wir Migräne und Grippe nicht
unbedingt im Urlaub haben müssen und haben diese kleinen Unannehmlichkeiten
vorsorglich vorher abgehakt. Wie immer auf den letzten Drücker (Bernd: Ich
will nicht wieder die halbe Nacht packen...) starteten wir um 5.45 Uhr in
Ulm am Samstag morgen. Da wir es mal wieder nicht für notwendig erachtet
haben auf das Ticket zu schauen, setzten wir auf Bleifuss. Kurz vor Ankunft
lästerten wir über die Saharafahrerneulinge, die die richtige Autobahnausfahrt
verpassen und erst drei Stunden später nach Besichtigungsrundfahrt durch
die Gassen von Genua völlig entnervt wieder am Hafen auftauchen. 10 min,
eine Mautstation und ein Kassierer, über den sich Bernd dummerweise aufregen
musste später, ist uns das Lästern vergangen. Ralf Beck hat sich auf seinem
Beobachtungsplatz schlappgelacht, als er uns auf dem Highway über dem Hafen
in Richtung der besagten Besichtigungstour erblickte. Nicht dass ihr denkt
wir hätten die Ausfahrt verpasst, nein, wir sind schließlich keine Neulinge.
Aber wir wussten nicht, dass man auf der gegenüberliegenden Seite der Strasse
statt in die Hafeneinfahrt rein, auch die Autobahnauffahrt hoch fahren kann.
Glücklicherweise verfügen wir über einschlägige Erfahrungen und nach einem
unbedeutenden Doppelschlenker und einer Ehrenrunde durch das allseits beliebte
kuriose Parkhaus begrüßten wir 20 min später Ralf vor der Carthage.
Da die Carthage planmäßig erst um 17.00 Uhr abfuhr, hatten wir wider Erwarten
genug Zeit um die überraschend vielen Sonderfahrzeuge aus allen möglichen
Ländern zu besichtigen. (Darunter auch einige, die erst nach drei Stunden
Besichtigungsfahrt durch die Gassen von Genua völlig entnervt am Hafen ankamen
und andere, die versuchten auf anderen Schiffen nach Tunis zu kommen). Unter
den Sonderfahrzeugen besonders interessant: Mc Fun setzt weiter auf Daimler.
Jetzt jedoch ausgediente Hotelskibusse aus dem Allgäu. Wir trafen sie auf
ihrem Weg nach Libyen II ("Nachdem wir beim letzten Mal ein bisschen Pech
hatten. Wir hatten eben noch nicht so viel Erfahrung..."). Leider vergaßen
wir sie nach ihren Pässen zu fragen.
Nach den letzten Liberté-Abenteuern konnten wir uns gar nicht genug lobend
über die Carthage auslassen. Einziger Nachteil der zur Luxuskreuzfahrt mutierten
Überfahrt: Die Carthage ist offensichtlich bei Busbutterfahrten hoffähig
geworden. An Bord erblickt man massenweise tennissockenbestrumpfte Bleichgesichter
mit Gruppenzwang.
Auch die Tunesier können langsam ihre Computer bedienen und werden immer
weniger nervtötend. Wir erreichten bei Abfertigung im Zoll die rekordverdächtige
Zeit von 15 min. Allerdings mussten wir dann noch einige Minuten auf Werner
und Hedi warten, die mit ihrem Schneckenhaus nach Tam wollten und sich unserer
Nachtfahrt nach Taleb l'Arbi anschlossen. Ohne Zwischenfälle ging es mal
wieder im Eiltempo durch das jedes Mal mehr herausgeputzte Tunesien bis
zur Grenze. Dort erfahren wir, dass es in den letzten Tagen wie verrückt
geregnet hat - kein Wunder wir haben schließlich unseren allseits bekannten
und beliebten Regenmacher Bernd Spaeth dabei. Nach der ersten Nacht auf
algerischem Boden verabschiedeten wir uns einige Kilometer und den ersten
Tourischleppercafé später von Werner und Hedi und verließen bei Toggurt
die Teerstrasse (Bernd: "Urlaub fängt da an, wo man die Freilaufnaben von
free auf lock umstellt.") und begannen unsere Kartografierungsarbeit im
Oriental.
Nach einigen Kilometern Gehoppel durch kleine Queds und Tamariskenfelder
finden wir die rot-weißen Markierungen der gestrichelten Linie auf der 1:4
Mio Michelin-Karte und spielen zwei Tage Balisen-Schnitzeljagd für Erwachsene.
Kaum Off-Road stellen sich die ersten Pannen ein. Zum Glück kein Differenzialschaden
sondern "nur" die Radmuttern, die links hinten nicht angezogen waren. Immerhin
haben wir das schon nach 1100 km gemerkt. In Zukunft wird Bernd wohl wieder
auf die afrikanische Variante "viel hilft viel" umsteigen und auf den Einsatz
seines neu erworbenen Drehmomentschlüssels beim Anziehen von Radmuttern
verzichten.
Durch den Panneneinsatz in Anspruch genommen sehe ich deutlich Arbeit auf
mich zukommen und sinne nach einer adäquaten Ausrede um mich vor eventuellen
Schaufelarbeiten zu drücken. Das Herausbrechen eines halben Zahns brachte
nicht das gewünschte Ergebnis. Ein ignoriertes Zirpen im rechten Handgelenk
(schließlich ist der Urlaub zum Auskurieren da) war da schon vielversprechender:
Es mutierte schnell zur Sehnenscheidenentzündung. Einziger Nachteil dieser
"Ausrede": An Handgelenk und Unterarm wird man wegen der Binde nicht braun.
Auch das Auto hat offensichtlich nicht so richtig Lust: Beim ersten weichen
Dünchen verweigert der Allrad die Zusammenarbeit und muss auch im weiteren
Verlauf des Urlaubs manchmal zweimal aufgefordert werden rein zu gehen.
(Dafür geht er jetzt auf einmal einfacher raus)
Nachdem wir uns davon überzeugt haben, dass die Piste wirklich auf dem Kreuzungspunkt,
den wir vor 1,5 Jahren aufgeschrieben haben ankommt, hoppeln wir querfeldein
Richtung Süden um die alte El-Borma Trasse zu finden (zweite gestrichelte
Linie in der 1:4 Mio Michelin-Karte). Erfolgreich finden wir die verrosteten
Balisen nach einem halben Tag und spielen wieder Schnitzeljagd (diesmal
in schwarz). Da das Wir-spielen-Entdecker soviel Spass macht und die geschwungenen
Walfischdünenfelder zwischen höheren Dünen wirklich malerisch sind, beschließen
wir bis zur Brunnenpiste (gestrichelte N-S-Linie), die wir bereits kennen,
durchzufahren. Unterwegs nehmen wir ein Massagebad in der Wasserfonthaine
eines aufgelassenen Ölcamps. Kleines Manko des Bades inmitten der Dünen:
Es riecht nach Schwefel und andauernd schwimmen Kamelkugeln vorbei.
Einige Kilometer weiter südlich auf der Brunnenpiste winken wir der vorbeifahrenden
Polizei zu, die anscheinend dank Ralf's Koordinaten im neuen "Durch Afrika"
Touristen an dieser Stelle für eine normale Erscheinung hält. Wir nutzen
die Teerstrasse zwischen Hassi Messaoud und El-Borma um wieder nach Westen
in die Mitte des Oriental zu kommen. Das Spiel beginnt von neuem: Südliches
Querfeldeinhoppeln bis zur dritten gestrichelten Linie: Der alten Piste
von Hassi Messaoud nach Deb-Deb. Beim Einstieg fährt Ralf beinahe einigen
Tuareg über das Mittagessen, ansonsten verläuft alles wie gehabt: Nach einem
halben Tag finden wir ein weiß-rostiges Schild in einer Ebene und spielen
wieder unsere spaßige Schnitzeljagd für Erwachsene. Während unsere Reise
vor eineinhalb Jahren geprägt war von vorzeitlichen Faustkeil- und Pfeilspitzenfunden,
haben wir es diesmal eher mit den Hinterlassenschaften der Neuzeit zu tun.
Immer wieder stoßen wir auf die Überreste von einstmaligen Bohrcamps. Es
stört uns daher auch nicht weiter, als in der Ferne Strommasten auftauchen.
"Die gehören bestimmt zur Pipeline von El-Borma nach Hassi Messaoud". Als
wir die Pipeline dann aus der Nähe betrachten können, stelle ich fest, dass
man den schwarzen Strich in der Landschaft auch für eine Teerstrasse halten
könnte. Die Jungs meinen, dass ich ihnen mal wieder nicht zugehört hätte
und klären mich darüber auf, dass da eine Pipeline verläuft, die schon in
der alten russischen Karte verzeichnet ist. Da aber auf einsam im Erg liegenden
Pipelines normalerweise keine Sattelschlepper mit Hochgeschwindigkeit vorbeirauschen,
kommen wir nach einschlägigen Beobachtungen zu dem Schluss, dass wir soeben
ein besonderes neuzeitliches Exemplar einer ausgewachsenen und stark frequentierten
Teerstrasse entdeckt haben. Wir kämpfen uns bis zum rätselhaften schwarzen
Strich vor (bleiben beim Überqueren der Pipeline stecken) und finden unsere
Annahme durch ein paar im Gegensatz zu uns gut gekleideten LKW-Fahrern bestätigt,
die sich über unsere blöden Fragen zur Teerstrasse nur wundern.
Die Strasse verläuft weiter genau neben unseren alten Schnitzeljagd-Balisen
und wir können somit unserem Forscherdrang nachgehen und dem schwarzen Band
nach E folgen. Schon nach wenigen Kilometern durchqueren wir die erste Megabaustelle
namens Hassi Berkine - das überdimensionale Generatorhaus der Stromerzeugungsstadt
ist beinnahe fertig. Jetzt ist der zuständige Militärposten an der Reihe
zu Staunen und blöde Fragen nach unserer Eskorte zu stellen. Wider Erwarten
winken sie uns nach einigem Palaver durch, so dass wir auf den nächsten
Kilometern Richtung Deb-Deb eine riesige Baustelle für eine Bohrcamp-Containerstadt,
den eifrigen Straßenbau und seismischen Messungsaktivitäten bestaunen können.
Als die Strasse nach vielen Kilometern an einer qualmenden Ölförderstelle
endlich endet ist der Militärposten dort nicht mehr ganz so relaxt. Unsere
doofe Erklärung, dass wir dachten wir seien alleine im Erg, finden Sie so
verdächtig, dass sie sich telefonisch rückversichern und sich unsere Visa
zeigen lassen (Vermutlich hielten sie uns für illegal eingewanderte Albino-Schwarzafrikaner,
die zum ersten Mal im Leben eine Teerstrasse quer durch den Erg Oriental
gesehen haben). Für die Unannehmlichkeiten des 15 min Wartens werden wir
überhäuft mit mehreren Paletten Cola, Wasser, Orangina, Nüssen, Apfel, Granatapfel
und Schinkensandwich. Nachdem wir alles verstaut haben zeigen sie uns den
weiteren Weg nach Deb-Deb: Den rostigen Markierungen nach die Verlängerung
unserer Piste vom Vormittag. Wir folgen der gut beschilderten und mit vielen
Spuren aufgefahrenen Piste in Dakar-Manier. Uns echten Wüstenforschern ist
diese dicke Piste natürlich viel zu belebt. Wir checken unsere Sprit- und
Wasservorräte und entscheiden uns die gestrichelte Linie zu verlassen um
ohne störende Zivilisationsspuren auf unserem Weg Richtung Ohanet noch den
Bereich der 500m-Dünen des Oriental zu durchqueren.
In der alpin anmutenden Landschaft entdecken wir eigenartige Fährten. Ganze
Kamel-Karawanen müssen da genau an den S-Kanten entlang direkt über die
Spitzen der dreihundert Meter über dem Tal aufragenden Matterhorn-Modelle
gelaufen seien. Die Täler sind bedeckt von Spuren, die so breit sind, dass
sich unsere Toyos vorkommen wie im Lande der Riesen von Gullivers Reisen.
Natürlich stoßen wir schon bald auf die Verursacher: Seismologentrupps,
die ihre Toyos in die Steilwände der Dünen stellen, dass wir uns schon beim
Hingucken in die Hose machen. "Nafta?", der Chef winkt ab, so was schafft
nur ein fetter Benziner. Während zwei bis drei blaumanngekleidete Trupps
im Tal sitzen und bereits Feierabend machen, turnen 30 drahtige Algerier
(!!!) auf den obersten Gipfeln herum um die Sprengladungen mit regelmäßigen
Abständen in einer geraden Linie anzubringen, in der eben zufällig genau
eine 500m-Düne steht. Auf die Frage, ob sie was für uns tun können, versäumte
Bernd zu antworten, dass er gerne mal mit einem der Knicklenker mit Riesenballonreifen
mitfahren würde. Es gibt Gelegenheiten im Leben, die sollte man einfach
nicht versäumen... Immerhin blieb ihm damit eine mit Vierpunkt-Gurten im
Überrollkäfig verbrachte 300 Höhenmeter- Achterbahnfahrt ohne Federn erspart.
Da unsere Dieselvorräte noch ausreichend und der Tanklaster des Teams gerade
nicht vor Ort war, befuhren wir weiter passartige Steilwände in aus Sand
aufgeschaufelten Bergserpentinen mit Dynamit-Durchgängen: Koordinaten, die
man sich unbedingt für Leute aufheben sollte, die man nicht leiden kann.
Wenn in ein paar Monaten die Löcher wieder zugeweht sind dürfte es schwierig
sein da durch zu kommen. Wir übernachteten an einer Ergautobahn: Von links
ein Toyo, von rechts ein Toyo, von links ein Knicklenker, ... Als weiter
im Süden die Pässe der Seismologen fehlen wird es etwas schwieriger mit
dem strikten Einhalten der gewünschten Richtung: Die Wände stehen wie Staumauern
senkrecht vor einem. Damit stellt sich nicht mehr die Frage wohin wir raus
wollen, sondern wo es raus geht.
Nach ca. einer Woche verlassen wir den Oriental (bei Hassi Marabout) und
hoppeln über die Tinhert-Grützekacke, die wir noch vom letzten Mal in schlechter
Erinnerung haben. Ralfs Platten flicken wir elegant unter Bohrmaschineneinsatz.
In echter Schlammteufelmanier pflügen wir in einer Sebkah durch die - gottseidank
- letzten Pfützen einer größeren Überschwemmung und hinterlassen auf der
bis dato gut gepflegten Pipeline-Wartungs-Trasse einschlägige Spuren. Ein
kurzer Tankstopp in Ohanet bevor wir durch ein "Riesentor" respektive eine
trassierte Piste in den nächsten Erg einsteigen.
Auf der folgenden Fahrt durch den Issaouane finden wir soviele Bohrcampreste,
dass Ralf diese Piste die "Müllsucher-Route" nennt. Innerhalb von zwei Tagen
brettern wir zum Gara Khanfoussa und wieder zurück nach Sidi Moussa. Wie
wir später vom Ulmer Markus Linse erfahren hat es dort einige Zeit zuvor
während drei Tagen Gewitter so geschüttet, dass der Sand 60 cm-tief klatschnass
war. (... und Jochen Baumann erzählte Ralf irgendwas von den unquerbaren
weichen hohen Dünen im Issaouane... man sollte eben Regenmacher dabei haben,
wenn man in den Erg auszieht). Einzig der nicht gefundene Durchstieg vom
Khanfoussa zum Hassi Touiel erfordert etwas körperliche Ertüchtigung: Ich
muss wegen schlechter Sicht vorauslaufen um die Toyos zwischen den üblen
Trichtern hindurchzulotsen.
Wie schon üblich stoßen wir auch bei unserer rasanten Fahrt auf eine komisch
aussehende Stange, die sich beim Näherkommen als Ölbohrturm entpuppt. Ein
englischsprechender weißer Buana fragt ob vielleicht in Deutschland eine
Reiseagentur den Trip zu diesem Ölcamp verkauft. In den letzten Wochen waren
bereits sechs Reisegruppen da - alles Deutsche. (Darunter wohl auch, wie
wir später erfahren, Didi, Philip und Co., deren ein Tag alte Spuren wir
kurz danach kreuzen - die Wüste ist klein....)
Aufgrund des Regenvorteils und meinen fleißigen Mitreisenden (denen ich
gerade mal so eine regelmäßige Mittagspause mit der Androhung von Migräneanfällen
abtrotzen kann) haben wir gegenüber Ralfs überfülltem Tourplan sogar noch
zwei Tage gut gemacht. Statt jedoch einen Tag mit den mitgebrachten Büchern
(Ralf: Karl May "Durch die Wüste", Bernd: "Der Herr der Finsternis", Sabine:
"Die Schwimmer in der Wüste") zu verschwenden, diskutieren sie über weitere
mögliche Ergvarianten im Oriental (schließlich haben wir die Balisen nicht
ganz von Anfang an verfolgt). Wir weichen der Grützekacke Hammada des Tinhert
soweit möglich nach Westen aus, ein Stück über die Miribelpiste um nördlich
neue Abenteuer in den westlichen Ausläufern des Oriental zu bestehen. Wir
wählen eines der vielen zur Verfügung stehenden Gassis aus und ... brettern
eineinhalb Breitengrade mit 80 km/h auf einer Regebene zwischen hohen Dünenkordons
nach Norden. Nicht einmal die engen Durchgänge zwischen den verschiedenen
Gassis bitten unseren Sandfanatikern einen Anlass sich auszutoben. Einzige
Abwechslung bot deshalb das Zweithobby "Aufspüren von Brunnen, die in Russen-Karten
nie genau eingezeichnet sind".
Erst am Ende des Ergs folgen wir in abenteuerlicher Fahrt den Spuren der
Locals über einige weiche Passagen. Kurz darauf stoßen wir auf den Anfang
oder das Ende einer Trasse Richtung Norden. Da Bernd - same procedure as
every year - ein wichtiges Blatt der 1:500 000 Russenkarten vergessen hat,
haben wir ab jetzt die Wahl zwischen ONC-Fliegerkarten (nur geringfügig
besser als Millimeterpapier), der 1: 4 Mio Nordafrika Karte (haha) oder
alle 500 m anhalten und Ralfs Laptop anwerfen. Wir entscheiden uns für den
einfachsten Weg: Der Trasse folgen. Immerhin wissen wir, dass wir das Gebiet
südwestlich von Hassi Messaoud tunlichst zu meiden haben, da die Algerier
streunende Touristen in aktiven Ölfördergebieten gar nicht leiden können.
So einer Trasse zu folgen birgt eigene Abenteuer, insbesondere wenn sie
an einem kleinen Pass an einer Reihe von roten Tonnen plötzlich endet, daneben
ein Schild mit einem Totenkopf. Abgrund?, Minen?, Giftmüll? ...tja arabisch
lesen sollte man können. Wir folgen auf den nächsten 10 Metern den Localspuren
über eine Düne und treffen wohlbehalten auf der gegenüberliegenden Seite
wieder auf eine ähnliche Reihe für die Passbefahrer von der anderen Seite.
Ab sofort spielen wir wieder Balisenschnitzeljagd. Sie gestaltet sich jedoch
einfacher, da die Markierungen schnurstracks wie immer zu einer näherkommenden
Rauchfahne führen. Wir diskutieren noch ob wir einen Bogen schlagen sollen,
da stehen wir auch schon wieder auf einer Sonatraq-Teerstrasse, diesmal
im beliebten Ausflugsziel südwestlich von Hassi Messaoud. "Touristen dürfen
hier eigentlich nicht fahren, aber in 70 km Entfernung kommt ein Militärposten,
da könnt ihr Euch dann ein Laissez-passez geben lassen." Frischfröhlich
gondeln wir also unangemeldet auf Besichtigungstour durch das Ölfördergebiet.
Die entgegenkommende Militärstreife reagiert verständlicherweise etwas empfindlich:
Bevor unser Gehirnzellen kombinieren "Zwei Toyota, graugrün, Militär, ..."
haben sie schon eine Strassensperrenformation gebildet, sind in einer Geschwindigkeit,
die man einem Araber nicht zutrauen würde mit der Kalaschnikow im Anschlag
aus dem Auto gesprungen und haben auch genauso schnell bereits gemerkt,
dass wir keine Fundis sind und uns durchgewunken. Bevor ich den Mund wieder
zu bekam war der Spuk bereits vorbei.
Im Schein der Abendsonne fahren wir auf Hassi Messaoud zu. Der nördliche
Himmel färbt sich schwarz. Auf den Abbrüchen brennen mehrere Meter hohe
Gasflammen. In den Fördergebieten wird immer noch gebohrt. Vermutlich um
die Kapazität zu erhöhen, da im Moment das Öl auf dem Weltmarkt ziemlich
teuer ist. Immer wieder lodert vor uns auf einem Kegelberg eine Gasflamme.
Die schwarzen Rauchfahnen steigen Richtung NW flach auf und bilden eine
schwarze Streifenwolkenfront bis zum Horizont. Vor einer Raffinerie mit
über 10 offenen meterhohen Fackeln erreichen wir Hassi Messaoud. Es raucht
und zischt, stinkt nach Schwefel und man spürt richtig die Wärme. Hassi
Messaoud scheint kein Luftkurort zu sein ...
Vollgetankt, vollgefressen und mit zwanzig nie untergehenden Sonnen im Rücken
steigen wir weiter nördlich im Dunklen wieder ein um unsere Kartografierungsarbeit
zu beenden und bei Bir Jedid die Autobahn durch den Erg zu begutachten,
die sämtliche uns bekannten Saharafahrer im September und Oktober auf der
Brunnenpiste in den Erg gefräst haben müssen. So viele Fahrspuren fanden
wir zwar nicht, aber dafür eine nette Nachricht von Ralfs Bekannten. Weniger
erfreulich fanden wir die Nachricht von Dirk, Rolf und Kurt die ihre Namen
für so bedeutend hielten, dass sie in die Frontseite des alten Franzosenfort
Bordj Jedid eingeritzt werden müssten. Coladosen deutschen Ursprungs und
Warsteinerdosen beim nördlicheren Marabut Mujem er Rebach sind weitere deutlich
Zeichen der anbrechenden neue Zeiten.
Erfreulichere Zeichen neuer Zeiten sind joggende Araber und Frauen in Hosenanzügen
in den Strassen von El Qued. 6 Cappuccino, 3 Café und 2 Kuchen später machen
wir uns noch mal auf die Suche nach den sagenhaften Badewannen im Erg um
nach drei Wochen Stinken endlich wieder ein anderes T-Shirt anziehen zu
können. Wir hoppeln erfolglos 40 km noch mal von anderer Seite Richtung
Bir Jedid und am nächsten Tag wieder zurück. So konnten wir immerhin einmal
den mitgeschleppten Drachen zum Einsatz bringen und feststellen, dass wir
vor zwei Jahren sage und schreibe 30 km lang im Abstand von einigen hundert
Metern neben der Piste querfeldeingehoppelt sind und deshalb statt zwei
Stunden einen ganzen Tag gebraucht haben um El Qued zu erreichen.
Auf dem Weg nach Tunis haben wir uns gerade damit abgefunden statt in einer
malerischen heissen Quelle in einer profanen Dusche auf der Carthage den
Staub der Sahara aus den Haaren zu waschen. Da erblicken wir plötzlich ein
überdimensionales Thermalfreibad. Während die Jungs gar nicht wissen wollen
worin sie bereits genüsslich planschen, rätsle ich noch misstrauisch und
halte die abgefahrene kunstspringbrunnenähnliche Anlage für das Sauerstoffanreicherungsbecken,
die letzte Stufe einer Kläranlage. Eine Viertelstunde später geniesse auch
ich das warme Wasser, saubere Haare, die untergehende Sonne ein frisches
T-Shirt und eine frische Hose, sowie das am Hintereingang des Magazin Generale
erstandene kalte Celtia.
Auf der Fähre bündeln sich alle Spuren, denen wir in den letzten drei Wochen
tagelang gefolgt sind. (Glücklicherweise außer Dirk, Rolf und Kurt). Während
sich die Bleichgesichter zusammenrotten und bei literweise Café au lait
bereits die nächsten Touren planen, verläuft die Überfahrt wie gewöhnlich:
Am Tag zuvor hatten sie 120 km/h Windgeschwindigkeit. Was unweigerlich dazu
führt, dass das verhinderte Seefahrervolk mal wieder ununterbrochen reiherte
und dabei leider auch Bernds Thermarest nicht verschonte.
Nach dem Abschied von Ralf, der seinen armen Toyo mal wieder so den Berg
hoch jagte, dass bei Bellinzona schon der halbe Tank wertvollen algerischen
Diesels leer war, brachte uns ein "Schneekettenpflicht"-Schild am San Bernadino
und einige Meter Schnee am Wegesrand kurzzeitig zum Schwitzen. Der Kulturschock
folgte nach der Wetterscheide: Schneebedeckte Tannen und Weihnachtsbeleuchtung
im November. Nach einem Zwischenstop beim Italiener um die Ecke und einem
weiteren in unserer Stammkneipe sind wir dann wohlbehalten Zuhause angekommen,
wo wir uns seither nur in Polarausrüstung auf die Strasse wagen.
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Fazit:
1. man findet keine Kamelknochen, wenn man dummerweise seinem Quasipatenkind
einen versprochen hat (worüber die Mutter nicht unglücklich sein dürfte).
2. man spiele Schnitzeljagd solange es noch geht (Hassi Berkine soll anscheinend
größer werden, als Hassi Messaoud, da dort die größten Ölvorkommen Algeriens
entdeckt wurden)!
Bild: Postkartenansicht der Saison.
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